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Maria, Königin des Friedens

Eine Version der Gindericher Wallfahrtsgeschichte

Von Lieselotte Fenger aus Ginderich, Juli 2011

Gindericher Kirche - Foto: Dießenbacher Informationsmedien

Liebe Pilger, liebe Gäste, herzlich willkommen im ältesten Marienwallfahrtsort am Niederrhein in unserer schönen mittelalterlichen Kirche St. Mariae – Himmelfahrt mit unserem ehrwürdigen Gnadenbild  „Maria, Königin des Friedens“!  Maria – wer war, wer ist Maria?

Diesen Fragen möchten wir heute einmal gemeinsam nachgehen und hoffen, darauf Antwort zu finden.

Zunächst können wir grundsätzlich feststellen: Die Geschichte Mariens beginnt – so unwahrscheinlich das auch klingen mag – zeitgleich mit der Gründung unseres Dorfes Ginderich, zeitgleich – nur an verschiedenen Orten der damals bekannten Welt.

Diese bestand im Wesentlichem – seit der Gründung Roms 753 v. Chr. – aus dem römischen Weltreich.

Die für uns bedeutende Zeitspanne um die sogenannte „Zeitenwende“ kurz vor und nach Christi Geburt ist die Zeit der Herrschaft Kaiser Augustus, (63 v. – 14 n. Chr.) in der, wie aus der Bibel bekannt, „Frieden herrschte“  (s. Weihnachtsgeschichte, nach Lukas !).

Längst hatten die Römer von ihrer südlichen Heimat, dem heutigen Italien, aus ein riesiges Weltreich gegründet, alle Länder rund um das Mittelmeer erobert, den Nordwesten Germaniens besetzt – später auch Britannien – und an den Ufern der großen Flüsse mächtige Städte erbaut, (Köln, Mainz, Trier u. a.)  – eine davon ganz in unserer Nähe: Die Colonia Ulpia Trajana, am Fuße des Fürstenbergs an einem Rheinarm gelegen, die sich auf dem Gelände der heutigen Stadt Xanten ausdehnte.

Eine große, stolze Stadt mit Tempeln und Forum, Thermen und Hafen und mehreren Tausend Einwohnern. Dazu gehörte auch das riesige Militärlager Castra Vetera im Gebiet des heutigen Oberbirten mit drei Legionen – ca. 11.000 – römischer Soldaten, die zur Sicherung der Grenzen benötigt wurden.

Diese Menschenmassen mussten natürlich täglich ernährt werden, und zwar an Ort und Stelle, denn Nahrungstransporte aus dem Süden wären zu aufwändig gewesen.

Zwar hatten die Römer Getreidearten aus der Heimat mitgebracht – Emmer und Dinkel -, auch die Ziege und das Kaninchen waren hier heimisch geworden, doch als Nahrung für so Viele reichten Kleintiere nicht aus, und überhaupt waren die Römer nicht gerade begeisterte Ackerbauern und Viehzüchter, sondern eher Händler und Handwerker – Schmiede, Schiffsbauer, Töpfer, Weber -, deren Kunstwerke wir ja heute gerade ausgraben, aber auch politisch interessiert und in der Literatur und Poesie geübt.

In dieser relativ friedlichen Zeit hatten sich am Ufer des Rheins und seiner Nebenarme – etwa im Bereich der Bislicher Insel – einige Familien germanischer Stämme (hier: die Cugerner) in Einzelgehöften niedergelassen, um nach langer Wanderschaft sesshaft zu werden. Ihre Rinderherden (Germanen waren schon damals, zum Entsetzen der Römer, Milchtrinker!) fanden auf den oftmals überschwemmten Rheinwiesen reichliche Nahrung; in den umliegenden Wäldern gab es für ihre Mastschweine Eicheln, Bucheckern und Kastanien, und auf den höher gelegenen Feldern bauten sie Hafer und Gerste, Hopfen und Einkorn, ja sogar schon Bohnen, Erbsen und Linsen an und pflanzten Obstbäume und Beerensträucher, die sie aus den Wanderjahren mitgebracht hatten.

Als Nachbarn auf diese Nahrungsvielfalt aufmerksam geworden, überwanden die Römer ihre Scheu vor den hünenhaften Germanen und boten Handel an: Großvieh und Getreide, Obst und Hülsenfrüchte gegen Töpferware; Schmuck, Webstoffe oder auch das schon damals begehrte römische Geld.

So war, ergänzt durch den gemeinsamen Fischfang im Fluss, die Ernährung auf beiden Seiten gesichert, und die germanischen Siedler, nunmehr mit der römischen Kultur bereichert, erwarben dabei einen gewissen Wohlstand.

Wo es aber etwas zu verdienen gibt, sind die Interessenten nicht weit – und so siedelten sich immer mehr Familien am Rheinufer an, große Höfe entstanden, deren Standorte man noch heute im Verlauf Bislicher Insel / Eyländerweg erkennen kann, bis auf wenige, die dem Deichbau zum Opfer fielen.

Gindericher Kirche - Foto: Dießenbacher Informationsmedien

Noch im 1. Jahrhundert n. Chr. erreichte man dabei eine höhergelegene Landzunge, umrauscht von zwei mächtigen Rheinarmen – den Standpunkt unserer heutigen Kirche – und begann auch hier mit der Besiedelung und Gründung eines Dorfes „Gyndereck“, das sich im Laufe der Jahrhunderte auf 26 große Höfe erweiterte.

Einer der Rheinarme muss noch bis ca. 1900 schiffbar gewesen sein; denn ein unbekannter Künstler hat dies in einer Mosaikarbeit dargestellt, die noch heute im Chorraum unserer Kirche zu sehen ist.

Während nun hier im Nordwesten Römer und Germanen friedlich voneinander profitierten, stellte sich die Situation zur gleichen Zeit im Südosten des römischen Reiches –  dem sog. hl. Land – wesentlich anders dar.

Dort lebte ein völlig anderer Menschenschlag; Das auserwählte Volk Gottes – die Juden, die Israeliten – und diese konnten sich mit der römischen Besatzungsmacht überhaupt nicht abfinden!

Gott hatte ihre Vorfahren aus der ägyptischen Gefangenschaft befreit und ihnen das Gelobte Land in Freiheit gegeben – und nun waren sie schon wieder fremdbestimmt!
Zwar hatte Gott ihnen auch vor vielen 100 Jahren einen Erlöser versprochen, den sie schon lange sehnlichst erwarteten, - und was konnte dieser anderes vorhaben, als sie vom Joch der Römer zu befreien? – doch der ließ auf sich warten und stellte die Israeliten auf eine harte Geduldsprobe.

Und sie murrten gegen Gott, wie sie immer gemurrt hatten, wenn Gott ihre Wünsche nicht nach ihren Vorstellungen erfüllte.

Was sie aber nicht wissen konnten; Gott hatte längst seine Fäden gesponnen ………

Er hatte nämlich einen himmlischen Boten zu einer jungen Frau aus dem Volke gesandt und sie in einer stillen Stunde fragen lassen ob sie bereit sei die Mutter seines Sohnes, des erhofften Erlösers der Welt zu werden.

Ihr Name war  Miryam – wir nennen sie;  Maria.

Viel wissen wir nicht über sie – nur, dass sie bei ihren Eltern Joachim und Anna in Nazareth lebte, dass ihre Kusine Elisabeth trotz ihres vorgeschrittenen Alters noch ein Kind erwartete, und dass sie selbst mit einem Zimmermann namens Joseph verlobt war.

Mit ihrem  „Ja“  zu Gottes Heilsplänen betrat Maria die Weltbühne und hat sie in 2000 Jahren nicht wieder verlassen. Hier hat ihr Gott alle Rollen zugemutet, die eine Mutter spielen kann – und sie dabei wahrlich nicht geschont; sie aber hat alles angenommen und in ihrem Herzen bewahrt.

Da sich in der Bibel keinerlei Hinweise auf eine „ungewöhnliche“ oder „auffallende“ Schwangerschaft Mariens finden, nehmen wir an, dass die Verlobten unter Gottes Fügung bald geheiratet, einen normalen Hausstand gegründet und gemeinsam das Kind erwartet haben.

Und dann kam die vom Kaiser Augustus befohlene Volkszählung – und sie rief sicherlich ebenso viel Unmut hervor wie heute.

In jenen Tagen aber konnte man natürlich keinen Fragebogen ausfüllen, sondern musste zur Eintragung selbst zum Ort seiner Herkunft reisen – und reisen bedeutete: entweder laufen oder bestenfalls auf einem Esel reiten (nur die Römer benutzten Pferde!). Bei einer Strecke von ca. 150 Km. über Bergland mit steinigen Pfaden, zur Stadt Bethlehem, nahm diese Reise sicher eine ganze Woche in Anspruch!

Gerade jetzt stand auch der Geburtstermin an, im Hause war alles vorbereitet – aber es half nichts - Persönliches Erscheinen war Pflicht, Verweigerung zog -   ebenso wie heute – Strafe nach sich.

Da das Kind „gemäß der Schrift“ in Bethlehem zur Welt kommen sollte, fügte sich Maria in Gottes Willen und wurde somit zur maßgeblich Mitwirkenden, durch die das Alte Testament beendet wurde und eine Neue Zeit begann.

Natürlich betraf die Volkszählung auch die ferne Colonia Ulpia Trajiana und ihr Heerlager und brachte Unruhe in den Alltag, und mit dem dadurch bedingten Wechseln der Truppen gelangten seltsame Geschichten an den Niederrhein: Von der Geburt eines Kindes in einem Stall bei Bethlehem, bei der Engel gesungen haben sollen! Von drei Magiern, die, von einem Stern geführt, den König Herodes in Panik versetzten, weil er einem neugeborenen König der Juden befürchtete!

Jeder neue Trupp Soldaten brachte neue Berichte, die am Lagerfeuer kursierten und fortan nicht mehr verstummten. Dieses Kind, Jesus genannt, sorgte auch mit zunehmendem Alter für erstaunliche Berichte. Erwachsen geworden, begann er – statt nunmehr eine Familie zu gründen – Männer verschiedenen Alters um sich zu scharen, sie zu lehren und mit ihnen durchs Land zu ziehen, misstrauisch beobachtet von frommen jüdischen Schriftgelehrten und immer unter den wachsamen Augen römischer Besatzer. Ein Herumtreiber, der die Leute irritierte! Er verwandelte Wasser zu Wein, heilte Kranke, weckte Tote wieder auf, und einmal machte er 5000 Zuhörer satt – mit fünf Broten und zwei Fischen!

Die Regierung  wurde aufmerksam, dieser Mann wurde zum Politikum. Wenn dieser Verrückte weiterhin die Massen abfütterte, würde niemand mehr für Kaiser und Volk arbeiten wollen!

Und was predigte er?  „Liebet Eure Feinde??“

Hieß es nicht immer noch: „Auge um Auge – Zahn um Zahn?“ Mit Liebe ließ sich kein Land erobern!

Irgendwann eskalierte die Empörung seiner Landsleute – dieser Jesus behauptete, Gottes Sohn zu sein – ans Kreuz mit ihm! Nun war man ihn los und es gab endlich Ruhe!!
Ein fataler Irrtum; denn nun ging es erst richtig los: Seine ehemals so schüchternen Anhänger verbreiteten voller Freude, er sei auferstanden und in den Himmel aufgefahren und verkündeten – nach einem seltsamen Feuerssturm – die Lehre ihres Meisters im gesamten römischen Reich und stellten damit alle bisherigen Götter, sowie die Göttlichkeit des Kaisers in Frage.

Rom reagierte umgehend, verbot die neue Lehre unter Androhung drastischer Strafen – doch sie ließ sich nicht mehr aufhalten. Die ersten Märtyrer starben unter dem Schwert und in den Arenen, die Verfolgung derer, die sich nun „Christen“  nannten, begann im gesamten römischen Herrschaftsgebiet – auch am Niederrhein. Dorthin wurde ein Teil der „Thebäischen Legion“ gesandt – gegründet in der nordafrikanischen Stadt Theben -, eine Elitetruppe zur Bekämpfung der neuen Religion. Seltsamerweise hatte sich aber gerade in ihren Reihen bereits eine kleine Gruppe dem Christengott zugewandt und weigerte sich, dem Kaiser zu opfern. Ihr mutiger Anführer wurde der erste Märtyrer des Lagers Castra Vetera. Sein wirklicher Name ist uns nicht überliefert, aber das ist auch nicht nötig: Für seine Kameraden, blieb er der  „victor“ (lat.: der Sieger) und so nennen wir ihn noch heute. Über seinem Märtyrergrab entstanden der Dom und die Stadt Xanten und erinnern für alle Zeiten an seinen Heldenmut für Christus.
Noch lange tobte im römischen Reich die Christenverfolgung, bis man zur Einsicht kam: Wenn man so weiter machte, wäre bald ein Großteil der Bevölkerung ausgerottet.
Erst mit dem Edikt (Erlass) von Mailand ging um 313 n. Chr. diese schreckliche Zeit zu Ende.

Gegen Ende des 4. Jahrh. verließen die Römer den Niederrhein, das römische Reich zerfiel, aus den Steinen der verlassenen Stadt erbaute man eine neue Ansiedlung, eine erste kleine Kirche.

Es kamen die Missionare und brachten das Evangelium in die entlegensten Dörfer.

Im Norden wirkten Patrick (Irland), Ansgar (Norwegen, Schweden), Winfried / Bonifatius (Friesland u. Wesergebiet); von Helgoland her kam Willibrord an den Niederrhein und gründete viele Kirchen (Willibrordi Dom Wesel, Wardt, Kleve – Kellen, Rindern u. a.). Auch Wanderprediger zogen umher, errichteten Klausen in den Dörfern (claustra = enger Raum, oftmals vergittert) und lebten von Almosen der Besucher, denen sie das Evangelium erklärten, später schlossen sich mehrere „Klausner“ zusammen und gründeten die ersten „Klöster“.

In Ginderich stand die erste Klause am Standort der heutigen Kirche, der damals das Umfeld des Schwanenhofes war; bereits um 800 n. Chr. wurde die erste romanische (Rundbogen-) Kirche erbaut, sicher mehrmals zerstört, wieder errichtet, und bereits um 1050 wird eine Kirche erwähnt, die  „der hl. Mutter Gottes geweiht ist“.
Um 1190 bezeugt eine Urkunde des Fürstbischofs Philipp von Heinsberg in der Kirche zu Gyndereck ein „wundertätiges“ Marienbild, das sich den „Anrufenden gnädig erweist“.
Da von auffälligen Wundern, Erscheinungen oder außergewöhnlichen Heilungen keinerlei Berichte vorliegen, aber auch keine geheimnisvollen Träume oder Befehle überliefert sind, dürfen wir annehmen, dass das damalige Gnadenbild – sicher eine Vorgängerin der heutigen Darstellung von ca. 1325 – die Menschen auf ganz eigenartige Weise angezogen hat, etwa mit einer sehr mütterlichen Trostwirkung.

Versetzen wir uns in die frühen Jahre der aufkommenden Marienverehrung, so können wir die Suche nach Trost und Zuwendung gut verstehen:

Mit dem Ende der Christenverfolgung war nun die furchtbare Bedrückung gewichen, und die Christen lebten in der Hoffnung und Erwartung auf eine wunderbare neue Zeit in Freiheit und Freude.

Das Christentum durchdrang alle Lebensbereiche und, da es nach dem Abzug der Römer keine weltliche oder politische Regierung mehr gab, wurde diese nun auch von der neuen Religion übernommen. Die junge Kirche gewann zusehends an Einfluss und Macht, und wir wissen: Wer die Macht hat, kann sie leider auch missbrauchen.
Macht auszuüben bedeutet aber, sich Menschen gefügig zu machen, und dazu bediente man sich eines bewährten Mittels – der Angst.

Angst war sowieso schon vorhanden: Vor unerklärlichen Naturereignissen, Zauberei, Tod und Teufel – hinzu kam nun die Angst vor ständiger Sünde und die daraus entstehende Unwürdigkeit vor einem unerbittlichen, unversöhnlichen, ständig strafenden Gott.

Ungünstige Witterung, Missernten, Unfälle, Tierseuchen – sie alle wurden zu strengsten Sündenstrafen. So wurde das Leben hier auf Erden zur ständigen Buße.

Haben Ältere von uns diese Tonart nicht noch in guter Erinnerung?

Mit frommen Erschauern sangen wir noch bis ins vorige Jahrhundert:

„Strenger Richter aller Sünder“
der Du uns so schrecklich drohst ...
Gib uns Gnade, recht zu büßen,
dass wir nicht einst hören müssen:                  
Geht von mir!! Ich kenn euch nicht!!
Herr, wend‘ ab dies Strafgericht!
Oder auch:
„Hier liegt vor Deiner Majestät
im Staub die Christenschar ...                   
Verstoß uns nicht!
Verstoß uns Sünder nicht!!“

Zum ständigen Bewusstsein der Unwürdigkeit kamen andere Bedrängnisse:

Unheilbare Krankheiten wie der Aussatz – die Lepra - - uns schon aus der Bibel bekannt, Cholera, Typus, Wundstarrkrampf, Blutvergiftung, Pocken und Blattern, innere Blutungen durch das schwarze Mutterkorn, Tuberkulose und später die Pest, die ganze Landstriche entvölkerte. Die medizinische Versorgung war gleich Null; eine Blinddarm-entzündung führte unweigerlich zum Tode; Operationen mussten, wenn überhaupt, bei vollen Bewusstsein des Kranken durchgeführt werden, wobei nicht sterile Geräte sowie der Schmerz – Schock oftmals tödlich wirkten. Wer seine Zähne verlor, musste ohne sie leben; Prothesen, Brillen und Hörgeräte waren unbekannt; um Hygiene und sanitäre Anlagen war es – sogar noch bis ca. 1950! – schlecht bestellt; Ärzte, Apotheken und Siechenhäuser fand man vielleicht in großen Städten.

Das Leben war unsicher durch Hungersnöte, Kriege, Plündrer – und ständig bedroht durch das offene Feuer, das zum Heizen und Kochen notwendig war. Fuhr der Wind in den Kamin, konnte ein Funke das ganze Haus, ja ganze Dörfer und Städte in Brand setzen – wie es Friedrich Schiller in seiner „Glocke“ beschreibt.

Versicherungen zum Schadenersatz gab es nicht; Geld, das evtl. dafür gespart wurde, verbrannte mit. Hatte man es vergraben, konnte es gestohlen werden oder verrotten; und doch stammt mancher vergrabene „Schatz“, den man heute findet, aus jener düsteren Zeit.

Kranken – und Rentenversicherungen waren unbekannt, die nächste Generation garantierte die Versorgung – sofern man überhaupt alt wurde; denn noch um 1650 betrug die durchschnittliche Lebenserwartung ca. 38 Jahre.

Natürlich wurde deshalb früh geheiratet, und dadurch entstand vor allem eine starke Belastung der Frauen.

Frauen waren zum Dienen geboren, sie hatten keine Stimme in der Gesellschaft.

Die junge Kirche berief sich schon früh auf das Gebot des Apostels Paulus: „Das Weib schweige in der Versammlung“! und leitete damit eine beispiellose Degradierung der Frauen ein, die wir leider noch heute feststellen müssen.

Adlige Frauen, die ihr Vermögen zur Klostergründung anboten, „Visionen“ hatten Überirdische Stimmen hörten oder die „Wundmale Christi“ bekamen, erregten Aufsehen, doch die Männerwelt blieb skeptisch. Frauen durften den Altarraum der Kirchen nicht betreten; rothaarig, kraushaarig, dunkel oder auch sehr hellhäutig, standen sie mit dem Teufel im Bunde und endeten oftmals auf dem Scheiterhaufen. Unehelich geboren, wurden Frauen nicht geheiratet und möglichst gemieden; verheiratete hatten stets für ihre „ehelichen Pflichten“ bereit zu sein, viele ungewollte Schwangerschaften und Geburten – ohne Scherzmittel – zu überstehen und die Kinder weitgehend selbst zu erziehen. Jegliche Nahrung und Kleidung musste durch Handarbeit hergestellt, Vorräte für den Winter angelegt, Alte und Kranke gepflegt werden – ohne alle heutigen Hilfsmittel.

Die Mütter und Kindersterblichkeit war entsprechend hoch, nicht nur bei Armen. Die 12jährige Tochter einer angesehenen Kaufmannsfamilie wurde von ihren Eltern mit einem 18jährigen Ratsherrn verheiratet; sie starb mit 26 Jahren bei der Geburt ihres 11. Kindes.

Selbst Kaiserin Maria Theresia brachte in ihren 29 Ehejahren 17 Kinder zur Welt, von denen 8 überlebten.

Wundert es uns, dass gerade Frauen in diesem beschwerlichen Leben Trost und Freude suchten? Ohne Freude kann ein Leben nicht gelingen.

Bei einem „strengen Richter“ Konnten sie diesen Trost, diese Freude wohl nicht finden. Denken wir an unsere Kindheit: Zu wem gingen wir mit unseren kleinen „Schmerzen“? Der Vater sagte vielleicht: „Ach, stell dich nicht so an“! Die Mutter aber nahm uns in den Arm, tröstete und streichelte – und schon war alles wieder gut.

Schon früh erinnerten sich die Frauen, dass es eine solche Mutter schon gab, die ihre Nöte verstand, weil sie sie weitgehend selbst erlebt hatte: Maria, die Mutter Jesu, die Er uns ja empfohlen hatte.

Wir alle kennen die Szene aus der Bibel: Unter dem Kreuz standen Seine Mutter und der Jünger Johannes. Und Jesus sprach zu seiner Mutter: „Siehe da, Deinen Sohn“ und zu dem Jünger: „Siehe da, Deine Mutter“!

In dieser Stunde ist Maria unser aller Mutter geworden.

Vor ihrem Bilde, hier in unserer Wallfahrtskirche, konnte man Trost und Freude finden, fühlten vor allem Frauen Ruhe und Geborgenheit, und somit war unser Gnadenbild mehr als 450 Jahre lang die trostspendende Anlaufstelle am Niederrhein. Begünstigt durch die Lage am Altrheinarm, konnten sogar Wallfahrten aus Köln und Andernach hier stattfinden, wie unsere Kirchenbücher berichten; auf dem Landwege wären sie zu beschwerlich gewesen. Sicher ist auch die Größe unserer Kirche, in ihrer heutigen Form um 1280 vollendet, der Beweis für den regen Zulauf der Wallfahrer, die zudem im nahen Schwanenhof – damals Gaststätte – einkehren konnten. Allein hätten die 400 Dorfbewohner eine solche Kirche nicht bauen und derart ausschmücken können, doch die Wallfahrt brachte offensichtlich viel Geld ein; die davon erworbenen Kunstschätze können wir noch heute bewundern.

Durch Religions – und Erbstreitigkeiten der klevischen Herrschaft, der Dorf und Land derzeit unterstellt waren, kam es um 1640 – also in den Wirren des 30jährigen Krieges – zum Prozessionsverbot und damit zum Erliegen der Wallfahrt. Nur im Dorf fand jährlich zum Kirchweihfest (Sonntag vor dem 10.Oktober) noch eine Marienprozession statt.
Unsere Marienverehrung aber blieb über die Jahrhunderte hinweg weiter bestehen. Unser Gnadenbild, das immer einen Ehrenplatz einnahm, hat unsere Kirche niemals verlassen.

Zuweilen wird uns Katholiken vorgeworfen, zu-viel Wert auf die Darstellung Mariens und der Heiligen zu legen. Natürlich kann man auch zu unsichtbaren Partnern beten, dennoch braucht unsere Andacht einen Gegenstand zur Bertachtung beim Gebet.

Das Kreuz Jesu haben wir täglich vor Augen, warum also nicht das Bild seiner Mutter?

Auch im täglichen Leben betrachten wir voller Freude – gerade in den letzten Jahren – die Bilder unserer längst Verstorbenen, am liebsten sicherlich das Bild unserer eigenen Mutter.

Wir geben ihm einen schönen Rahmen, einen Ehrenplatz in unserer Foto - Ecke und können es täglich liebevoll betrachten. Und halten wir nicht manchmal stille Zwiesprache? „Mutter, was würdest Du tun? Gib mir einen Rat“!

So wird auch unser Gnadenbild, das nun seit 2005 wieder Gegenstand, sowie öffentlicher Mittelpunkt der Wallfahrt ist, weiterhin vielen Betrachtern und Ratsuchenden Trost und Hilfe spenden.

Auf Marias Hilfe und Fürsprache dürfen wir und alle kommenden Generationen vertrauen.


Maria, die Königin des Friedens,
Maria, die Mutter Jesu,
Sie war und ist
Unsere Mutter
 

P.S:
So – oder ähnlich – könnte sich die Wallfahrt in Ginderich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt haben – aber vielleicht war auch alles ganz anders. Wir wissen es nicht.
Geschichtliche Daten geben leider oftmals nur Auskunft über die Taten  - und Untaten – politischer und kirchlicher Herrscher.

Das Volk aber empfindet tiefer – es sieht mit dem Herzen, seine Not weiß andere Wege.

Alle vorstehenden Ausführungen erheben – außer den historisch verankerten Daten – keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Realität. Sie basieren teilweise auf den Angaben zur Geschichte Ginderichs im Gemeinschaftswerk „Römer – Wallfahrt – Landwirtschaft“ vom Jahre 2000, sowie auf den Erinnerungen an meine Schulzeit in der Marienschule Xanten 1947 – 53 bei den Heiligenstädter Schulschwestern. Unsere Religionslehrerin war langjährige Dom – Küsterin, und so waren Römer – und Stadtgeschichte, Kirche  und Krypta, Heiligen – und Märtyrerlegenden unser tägliches Brot.

Unverkennbar ist die Ähnlichkeit unserer Kirche mit dem Xantener Dom, historische Tatsache auch die Verbindung Ginderichs mit dem ehemaligen Stift Xanten, auch die Ausrichtung unsrer Kirmes nach der Viktor – Legende  (10. Oktober Fest des hl. Viktor).  
2000 Jahre Gindericher Geschichte –
1000 Jahre Gindericher Wallfahrt –                    
ein Körnchen Wahrheit wird darin zu finden sein!

            Ginderich, im Juli 2011            L. Fenger