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Am 11. Juni 1917 fällt der Weseler Lehrer und Begründer des Städtischen Musikvereins Paul Wolff an der Westfront

Als Weseler Organist ist vor allem Professor Karl Straube (1873–1950) weit über den Niederrhein hinaus bekannt. Aber auch einer seiner Schützlinge verdient aufgrund seines kulturellen Engagements Aufmerksamkeit.

Paul Rudolf Wolff wurde am 27. Juni 1876 als Sohn des Lehrers Friedrich Wolff und seiner Ehefrau Bertha in Neuwerk – seit 1921 Teil der Stadt Mönchengladbach – geboren. Ein Bruder von Paul war der spätere Aachener Pfarrer und Präses der Synode der Rheinprovinz Walther Wolff (1870–1931). Die Familie stammte ursprünglich aus einer Hochburg des rheinischen Protestantismus, lebte aber im katholisch geprägten Neuwerk in der Diaspora.

Nach Abschluss seiner Schulausbildung – im Gegensatz zu seinem Bruder Walther lässt sich für Paul keine erfolgreiche Abiturprüfung in Mönchengladbach nachweisen – verließ Paul Wolff Neuwerk am 10. August 1896 und ließ sich vorübergehend in Beyenburg nieder. In dem seit 1929 nach Wuppertal umgemeindeten Ort könnte Wolff erste Erfahrungen als Lehrer gesammelt oder seine entsprechende Ausbildung abgeschlossen haben.

Irgendwann nach 1896 und vor 1898 kam Paul Wolff dann schließlich nach Wesel, um seine Tätigkeit als Elementarlehrer zu beginnen. Zunächst und bis zum Ende des Schuljahres 1901/1902 war er in der für den Innenstadtbereich zuständigen Volksschule in der Kreuzstraße tätig, um dann ab Ostern 1902 in Fusternberg tätig zu werden. Damit einher ging ein Wohnungswechsel aus der Korbmacherstraße in die Wackenbrucher Stege ins dortige Schulgebäude. Um die Jahrhundertwende bestand die Schule in Fusternberg aus drei Klassen, in denen von zwei Lehrern 96 Schüler und 83 Schülerinnen unterrichtet wurden.

Schon zu dieser frühen Zeit trat Wolff aber auch schon als Kirchenmusiker in Erscheinung. Der Dom-Organist Karl Straube nahm sich Wolff an und erreichte schnell eine erstaunliche Verbesserung des Orgelspiels des jungen Lehrers. Straube war zu dieser Zeit schon viel auf Reisen und ließ sich gerne von Wolff vertreten. Als Straube schließlich Anfang Dezember 1902 dem Presbyterium mitteilte, er sei als Organist und Leiter des weltberühmten Thomanerchors in Leipzig vorgesehen, war schnell klar, dass Paul Wolff als vorübergehender Ersatz – auch für die Leitung des evangelischen Kirchenchores – zur Verfügung stand. Diesen Posten übte Wolff bis September 1903 aus als Hans Meißner als neuer hauptamtlicher Organist eingestellt wurde.

Einer der Fusternberger Schüler Wolffs war der später weithin bekannte Maler Artur Buschmann, der 1895 dort geboren worden war und auch die evangelische Volksschule besuchte. Wolff erkannte Buschmanns künstlerisches Talent und organisierte für den gut zehnjährigen Schüler gar eine kleine Verkaufsausstellung.

Ab 1906 und bis 1912 war Paul Wolff dann wieder in der evangelischen Volksschule in der Kreuzstraße tätig, die – wie alle anderen Volksschulen – ab April 1908 nicht mehr den Kirchengemeinden, sondern der Stadt unterstand.

Zwischenzeitlich war die größer werdende Familie Wolff – Paul war verheiratet mit Adele geb. Münzenberg – auch mehrfach umgezogen. Aus der Gartenstraße, in die man aufgrund des Schulwechsels des Vaters 1906 gezogen war, ging es 1909 in den Breiten Weg und schließlich Ende 1912 in die Wylackstraße, wo die Familie ihr endgültiges Heim gekauft hatte. Nach der 1904 geborenen Tochter Berta kam 1909 der Sohn Karl zur Welt und wurde am 1. Januar 1910 in Wesel von seinem Onkel Walther Wolff auch getauft. Einer der Taufpaten und wohl auch Namensgeber des Täuflings war Karl Straube, der aus Leipzig angereist war. 1913 folgte mit Emil der zweite Sohn, der am 4. Januar 1914 wiederum von Walther Wolff getauft wurde. Schon während des Ersten Weltkrieges komplettierte die zweite Tochter Hanna das Familienglück.

Ab dem Schuljahr 1903/1904 und bis Ostern 1913 fungierte Paul Wolff zudem als Gesanglehrer am Königlichen Gymnasium, wo er ebenso auf Straube folgte wie als Organist am Dom.

Auch im Schuljahr 1913/1914 war Paul Wolff ab Weihnachten 1913 noch mal vertretungsweise am Gymnasium tätig. Ab Ostern 1912 war er aber hauptberuflich am Städtischen Lyzeum am Brüner-Tor-Platz als Elementarlehrer tätig. Neben der Lehrtätigkeit galt die ganze Leidenschaft Wolffs der Musik. Im Mai 1912 gründete sich – während einer Wohltätigkeitsveranstaltung des Vaterländischen Frauenvereins – unter Leitung von Wolff ein gemischter Chor. Aus diesem erwuchs der immer noch bestehende Städtische Musikverein. Die ersten Choraufführungen gab es bereits zum Jahreswechsel 1912/1913. Paul Wolff hatte einen a-cappella-Abend mit Werken u.a. von Robert Schumann und Johannes Brahms einstudieren lassen. Als Ziel setzte der Verein sich selbstbewusst, zwei Chor- und sechs Meisterkonzerte in jedem Winterhalbjahr zu organisieren. Als Höhepunkt vor dem Ersten Weltkrieg muss das Meisterkonzert von Max Reger gelten, der eigene Kompositionen spielte.

Mit dem beginnenden Weltkrieg musste der Chor aber auf viele männliche Stimmen verzichten, doch Wolff fand einen Ausweg. Er bat die Kommandeure der in Wesel stationierten Regimenter, begabte Soldaten für Chorproben zu beurlauben, was überraschend gut geklappt haben muss.

Doch auch für Paul Wolff sollte der Erste Weltkrieg einen großen Einschnitt bedeuten. Als Landsturmrekrut trat er am 18. Mai 1917 seinen Dienst bei der zweiten Kompanie des 2. Lothringischen Infanterie-Regiments Nr. 131 an, um dann bald als Landsturmmann des Metzer Infanterie-Regiments Nr. 98 an die Front zu kommen. Beim Aufmarsch seines Bataillons in die Reservestellung bei Commes/Flandern wurde Paul Rudolf Wolff schon am 11. Juni 1917 durch feindlichen Beschuss tödlich verwundet.

In seiner Heimatstadt gedachte man dem gefallenen Lehrer u.a. mit einer Gedenkfeier, die der Lehrerverein für Wesel und Umgegend am 7. Juli im Willibrordidom organisierte. Die Trauerrede des Pädagogen und Schriftstellers Erich Bockemühl aus Drevenack – sogar im Druck erschienen – würdigte Paul Wolffs „große Liebe zum Leben“. Er sei als pflichttreuer Lehrer, als Künstler – überwiegend mit Feder- und Kreidezeichnungen – und vor allem als Musiker hervorgetreten. Der Musikverein sei „im eigentlichen Sinne sein Werk“. An der Gedenkfeier nahm auch Wolffs Lebensfreund Karl Straube teil.

Auch im als Eisernen Buch der Stadt Wesel bekannten Kriegerehrenbuch, das handschriftlich die wichtigsten Lebensdaten von 622 im Ersten Weltkrieg gefallenen oder ihren Verletzungen erlegenen Weselern aufführt – fand Paul Wolff Aufnahme. Die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Ehrentafel im Haupteingang des Rathauses am Großen Markt für 18 im Ersten Weltkrieg gefallene städtische Angestellte, Beamte und Lehrer führte Paul Wolff ebenso auf.

Der Tod des Lehrers Paul Wolff hat aber nicht nur an der Heimatfront große Trauer ausgelöst. Auch der Vizefeldwebel Hubert Moshövel, Zugführer bei der 4. Kompanie des Infanterie-Regiments 56, schrieb in einem ungewöhnlich offenherzigen Brief am 2. Juli 1917 an seine Familie, er habe gehört, dass Wolff gefallen sei. Das habe ihn mit „großem Schmerz“ erfüllt. Von der üblichen Kriegspropaganda wenig beeinflusst fragte sich Moshövel, wie man „auf Dauer die Verluste grade der besten Leute überstehen“ könne.

Die große Wertschätzung für den Lehrer und der Schock über seinen Tod wird mit ziemlicher Sicherheit auch andere junge Weseler Soldaten an der Front und Zuhause wie auch andere Einwohnerinnen und Einwohner Wesels zum Nachdenken über die Sinnhaftigkeit des Krieges angeregt haben.

(Autor: Dr. Heiko Suhr)

Abbildung: Paul Wolff am heimischen Klavier (StAW X9, Festschrift 100 Jahre Städtischer Musikverein)